Bergblickvermarktung

Aussichtsplattformen verschaffen Besuchern einen unvergesslichen Blick auf das Alpenpanorama: Sie ragen oft über steil abfallende Felswände, unter dem Glasboden geht es Hunderte Meter in die Tiefe. Hier gibt es Panorama mit tw einem gehörigen Schuss Nervenkitzel. Immer mehr stählerne Stege recken sich in Österreich gen Berghimmel. Ob „Sky Walk" am Dachstein, „Top Mountain Star" mit Panorama-Bar im Skigebiet Hochgurgl oder „Top of Tyrol" im Stubaital in 3210 Metern über dem Meer, um nur einige zu nennen.

Immer mehr Alpenvermarkter suggerieren unseren verantwortlichen Politikern, dass unberührte Gipfel von sich aus nicht großartig genug seien, ein Gipfelkreuz allein ist zu wenig. Der naturnahe Bergtourismus ist zu brav, zu wenig lukrativ, unsere Gipfel brauchen noch mehr „Fun-Klettersteige", „Flying-Fox-Seile" durch Schluchten und noch mehr spektakuläre Aussichtsbauwerke auf noch höheren Gipfeln. Auch weniger „geländegängigen" Besuchern müssen spektakuläre Höhenerlebnisse garantiert werden — gegen Bezahlung natürlich.

Die Gründe für die geringe Wertschätzung unerschlossener Berggipfel sind daher in erster Linie in den ökonomischen Stukturen unserer Konsumgesellschaft zu suchen.


Aus Sicht des Naturschutzes und der Ökologie ist diese Art des Tourismus jedoch ein sehr konfliktträchtiges thema mit kontroversen Standpunkten und Lösungsstrategien. Diejenigen, die sich bemühen, die Schönheit, Artenvielfalt, Unberührtheit und Einzigartigkeit der österreichischen Alpenwelt zu erhalten, die nicht willens sind unsere letzten Naturparadiese der Gewinnmaximierung zu opfern, denen werfen die "Bergblickvermarkter" vor, Verhinderer von Wachstum und Arbeitsplätzen zu sein. Nicht weniger zimperlich gehen Umweltschützer gegen diese Gegner vor. Denn mit der angeblichen Schaffung von Arbeitsplätzen und dem überlebensnotwendigen Wirtschaftswachstum, so die Umweltorganisationen, lässt sich alles rechtfertigen, was im Namen der Natur nicht bewilligt werden dürfte.

Politiker hüten sich davor die Tourismus-Industrie zu verprellen, man redet lieber von „Wertschöpfung" und „Imagegewinn".

Auch Naturschützer sind sich darüber bewusst, dass der Bergtourismus von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des Alpenraums ist. Wahrscheinlich würden viele Räume und Seitentäler ohne Arbeitsplätze im Tourismus- und Freizeitsektor heute wohl nicht mehr bewirtschaftet werden. Die Fragen aber lauten: Wie viel Tourismus vertragen unsere Berge? Wie weit darf man gehen? Wo sind die Grenzen?

Reinhold Messner formulierte es in einem Interview so: „Haben wir Menschen das Recht, immer mehr Berge mit Erschließungen zu überziehen? Oder haben wir die Pflicht, wenigstens einen Teil unserer Bergwelt in ihrer Wildheit zu bewahren?" Auch wenn das einzelne Angebot einer Aussichtsplattform harmlos erscheint, so kann es bei massenhafter Vermehrung dieser Attraktionen zu einer echten Zerstörung des Landschaftsbildes und der Natur führen. Für die Umweltverbände sind all diese Gipfelbauwerke nur das Symbol für den Einstieg in eine Aufrüstungsspirale ohne Ende.

Doch nicht nur Umweltorganisationen und Alpenvereine sehen diese Entwicklung kritisch. Auch der populäre bayrische Profi-Bergsteiger und Extrem-Kletterer Stefan Glowacz protestierte in einer spektakulären Aktion gegen eine neue Aussichtsplattform in den bayrischen Alpen. Mit Seilen und Klettergurten befestigt und auf einer Hängematte stehend, baumelte er unter der Plattform. „Unsere Berge brauchen keinen Geschmacksverstärker", war auf einem großen Banner zu lesen. „Für mich ist das ein Fast-Food-Naturerlebnis", sagte Glowacz. „Durch spektakuläre Installationen in der Bergwelt wird der Besucher nicht für die ursprüngliche Schönheit der Bergwelt sensibilisiert, sondern zum schnellen Konsum animiert und nahezu sämtlicher Aspekte des Bergsteigens und des Naturerlebnisses beraubt. Heute scheint der monetäre Erfolg dieser Anlagen den Tourismusmanagern Recht zu geben. In Zukunft werden wir jedoch unseren Kindern erklären müssen, wer diese Installationen und die damit verbundene Umweltzerstörung verbrochen hat."

Noch schärfer fiel die Kritik von Eugen Guido Lammer aus, einem österreichischen Alpinisten, der von 1863 bis 1945 lebte: „Was ist das Wesen der Alpenwüste? Dass sie wüst ist, unwirtlich, unwegsam, Gefahren speiend, polar eisig. Ihr aber setzt in jedes stille Hochkar eine geheizte, holzgierige Schutzhütte ...; ihr baut Bummelwege quer durch die wilden Trümmerfelder, über Grate und Jöcher; an allen Wänden und Kämmen schimmern die Drahtseile und Mauernägel und Trittklammern. ... Ihr fühlt gar nicht, wie schnöd und barbarisch das alles ist, wie es die große wilde Natur klein und armselig-zahm macht, wie die Landschaft, der Berg immer mehr zum Anhängsel des Wirtshauses herabgezerrt wird."

Der Großglockner, mit 3798 Metern der höchste Berg Österreichs, wird jedes Jahr von rund 8000 Alpinisten bestiegen. Der Montblanc, mit 4810 Metern der höchste Berg Europas, muss bereits 20.000 Besteigungen pro Jahr über sich ergehen lassen. Viele Bergsteiger wollen die höchsten Gipfel der Kontinente „sammeln". Ähnliches gilt für die Alpen. Ganz oben auf den Wunschlisten steht der Großglockner, das Matterhorn oder der Mont Blanc. Dass man zu bestimmten Zeiten nicht gerade alleine unterwegs ist, nimmt man in Kauf.