Leben ist lieben

Wir waren damals gerade 18 Jahre alt, als unser Lehrer folgende Frage stellte: „Was ist das Wichtigste im Leben?" „Freunde, Geld, ein gutes Leben, Familie, ein guter Job" — so lauteten damals, vor über 40 Jahren, unsere Antworten. Er selbst beantwortete diese Frage allerdings mit einem Beatles-Song : „All you need is love." Ein Kultsong aus den 60-er Jahren von Lennon/McCartney, der bis heute überdauert hat.

Liebe! Wer weiß schon was Liebe ist und was gibt es Bahnbrechendes zur Liebe zu sagen, was nicht schon andere geschrieben und zudem jeder irgendwie selbst schon erfahren und erlebt hat? Die Gefühle fahren Achterbahn mit uns, wir sind himmelhochjauchzend und betrübt zugleich? Haben wir nicht gefragt, was eigentlich los ist und was da in uns vorgeht? Wenn Liebe im Spiel ist, kann es ganz schön kompliziert werden. Das liegt auch daran, dass es unzählige Arten von Liebe gibt und mindestens genauso viele unterschiedliche Ansichten darüber, was Liebe genau ist. Obwohl eine Beziehung eine Herzensangelegenheit ist, beginnt die Liebe im Gehirn, sagen die Mediziner. Wenn wir jemanden begehren, ihn lieben, werden eine Fülle unterschiedlicher Hormone ausgeschüttet. Alle diese Stoffe wirken in einem komplexen Wechselspiel zusammen. Sie sind aber weniger Ursache als vielmehr Ausdruck oder Folge unserer Emotionen, unseres Verhaltens und unseres Erlebens, so die Mediziner. 

Als man die französische Kino-Legende, Jean-Louis Trintignant, einmal fragte, ob er mit 81 Jahren die Liebe erklären könnte antwortete er: „Kann ich nicht, das kann keiner. Vielleicht so: Es ist jedes Mal anders, es gibt keine Regeln. In der Liebe muss man sich gehen lassen, wer zu viel nachdenkt, liebt nicht."

Ein Blick in die Philosophiegeschichte zeigt, dass sich die Frage was Liebe ist, über Jahrhunderte immer wieder neu gestellt hat — aber nie letztgültig beantwortet wurde. So schrieb der große Denker Platon vor rund 2400 Jahren: „Liebe ist eine schwere Geisteskrankheit." Eine ähnliche Meinung wie Platon vertrat der der amerikanischer Schriftsteller und Journalist Ambrose Bierce: „Die Liebe ist eine vorrübergehende Geisteskrankheit, die entweder durch Heirat heilbar ist oder durch die Entfernung des Patienten von den Einflüssen, unter denen er sich die Krankheit zugezogen hat." Auch der weise Friedrich Nietzsche war vor dem Gefühl der Liebe nicht gefeit, das Gegenstand von zahlreichen Songtexten und banalen Hollywoodfilmen ist. Wie verrückt diese Emotion sein kann, machte er in „Also sprach Zarathustra" deutlich. „Es ist wahr: Wir lieben das Leben, nicht, weil wir ans Leben, sondern ans Lieben gewöhnt sind. Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber auch immer etwas Vernunft im Wahnsinn.“

Für den Psychologen Peter Lauster, dem Autor einschlägiger Selbsthilfebücher, dessen Bücher eine Gesamtauflage von über 4, 5 Millionen erreichen, ist die ewige, große Liebe nichts als Mythos. In seinem Buch „Die Liebe" aus den 80-er Jahren", gelten Begriffe wie Treue als überholt, ja als Ausdruck einer krankhaften, verkümmerten Psyche. „Love is just a four-letter ward" sang die amerikanische Folk-Sängerin, Bürgerrechtlerin und Pazifistin Joan Baez einmal und für wieder andere ist Liebe das meist mißbrauchste Wort in unserem Wortschatz. Ob Platon, Nietzsche, Lauster oder Baez- ich freue mich immer wieder riesig über Hochzeitseinladungen — über Menschen die noch an den Mythos der Liebe glauben. 


„Liebe ist ein privates Weltereignis”
sagte der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar einmal. Liebe ist Weltuntergang und Urknall zugleich. "Liebe sind Flugzeuge im Bauch", sang Herbert Grönemeyer in einem seiner Lieder. Sie ist eine unsichtbare Kraft, die unser ganzes Weltgefüge durcheinander bringen kann. Sie befähigt uns zu den allerschönsten und selbstlosesten Opfern, zu denen wir fähig sind.

Liebe kann jedem passieren — von einem Tag auf den anderen. Sie kann unser ganzes Leben auf den Kopf stellen. Sie kann aus denkenden Menschen Narren machen, aber auch aus einfältigen Zeitgenossen einen Dichter oder Denker - die Geschichts- und Gedichtsbücher sind voll mit diesen Liebesgeschichten und Gedichten. 

Wir können Liebe nicht erzwingen, wir können sie nicht erbitten — wir bekommen sie geschenkt. Wie der Wind, weht sie wo sie will. „Du hörst sein Brausen wohl, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht." Dieses Zitat des Apostel Johannes trifft auch auf die Liebe zu. Sie fragt uns nicht, ob es uns genehm ist, wenn sie kommt und sie fragt uns auch nicht, wenn sie uns wieder verlässt. 

Wenn wir ehrlich sind, wissen wir nicht viel über sie. Manchmal dauert sie ein Leben lang, ein andermal ist sie nur flüchtig. Wir können versuchen, sie festzuhalten und sie vor allen Gefahren zu beschützen, doch wie auf so vieles im Leben, gibt es keine Garantie auf Lebenszeit. 

Egal, ob erotische Liebe, altruistische Liebe, geschwisterliche Liebe, freundschaftliche Liebe, mütterliche oder väterliche Liebe, Nächstenliebe, spirituelle Liebe oder Gottesliebe — lieben ist leben und leben ist lieben. Leben und lieben unterscheiden sich nur durch das i ". Doch die Liebe ist das, was unser Menschsein ausmacht.